Landesspecial WS 05/2013 - page 50

Ernährungswirtschaft
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Thüringen, das „grüne Herz Deutschlands“, ist für vieles bekannt – für seine
Landschaft, seine Gastfreundschaft und seine leiblichen Genüsse. Bei letzteren
ragen zwei Speisen ganz besonders heraus. So sehr, dass sie mit großem Stolz
den Beinamen „Thüringer“ führen. Gemeint sind die Thüringer (Rost-)Brat-
würste und – natürlich – die Thüringer Klöße. Wenn es um diese kulinarischen
Heiligtümer geht, verstehen die Thüringer auch keinen Spaß. Mehr noch: Sie
machen eine Wissenschaft daraus. In diesem Falle die „Kloßologie“. Der
Erfurter Kloßpfarrer Matthias Gose macht diese Wissenschaft populär.
Eine besondere
Wissenschaft
Damit sich ein Wissensgebiet mit Fug
und Recht Wissenschaft nennen darf,
müssen zwei Voraussetzungen erfüllt
sein: Forschung und Lehre. Derzeit be-
deutendster Vertreter der „Kloßologie“
ist der Erfurter „Kloßpfarrer“ Matthias
Gose. Der 36-jährige studierte Histo-
riker widmet ein Gutteil seines Berufs-
lebens seiner großen Leidenschaft, dem
Thüringer Kloß. Die hat er von seiner
Großmutter geerbt, einer würdigen al-
ten Dame aus Georgenthal, die den klei-
nen Matthias schon in jungen Jahren in
die Geheimnisse der Kloßherstellung
einführte. „Ein Sonntag ohne Klöße ver-
löre viel von seiner Größe“ – diese Thü-
ringer Volksweisheit hat Matthias Gose
so verinnerlicht, dass er alle Geheim-
nisse der „Kloßologie“ zu ergründen
versuchte. Veröffentlicht hat er seine
Forschungsergebnisse in einem kleinen
Büchlein, das unlängst erschienen ist.
Es beinhaltet unter anderem seine
„Lehrtraktate“, die er in eigenen Lehr-
gängen in einer Ausbildungseinrichtung
für angehende Gastronomen in Erfurt,
dem DEHOGA Thüringen Kompetenz-
zentrum, an „Kloßologie-Eleven“ jeden
Alters weitergibt.
Der heutige Erfurter Kloßpfarrer sieht
sich als Hüter eines wichtigen Erbes.
Begründer der „Kloßologie“ war Carl
Wilhelm Ernst Putsche (1765-1834), ein
vielseitig interessierter Pfarrer aus dem
kleinen Örtchen Wenigenjena. Das be-
sondere Interesse dieses Gottesmannes
galt der Kartoffel. Darum veröffentlich-
te er zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein
Buch mit dem Titel „Versuch einer
Monographie der Kartoffeln oder aus-
führliche Beschreibung der Kartoffeln,
nach ihrer Geschichte, Charakteristik,
Kultur und Anwendung in Deutschland“.
Neben dem DEHOGA Thüringen Kom-
petenzzentrum wird die „Kloßologie“
heute noch an einem weiteren Ort ge-
pflegt, in der Thüringer Kloß-Welt Hei-
chelheim. Hier befinden sich neben
dem weltweit einzigartigen Kloßmu-
seum auch eine Kinder Kloß-Welt und
die Thüringer Kloß-Manufaktur. Die
Kloß-Welt Heichelheim gilt damit als
das Mekka der „Kloßologie“.
Thüringer Klöße, Grüne Klöße, Hütes,
auch Knölla sind handgeformte, aus
zwei Dritteln rohen geriebenen und
einem Drittel zerkochten Kartoffeln
hergestellte kugelrunde Nahrungs-
mittel, die im Original die Größe eines
Kindskopfes haben sollen. Im Sinne
heutiger Ernährungsgewohnheiten
sollte man sich auf die Kopfgröße ei-
nes Neugeborenen beschränken.
Kloßrezepte sind Bestandteil der regio-
nalen Kultur in Thüringen. Sie werden
von Generation zu Generation weiter
gegeben. Es gibt zwischen einzelnen
Dörfern, Regionen und Familien Unter-
schiede in der Zubereitung, die jeweils
als das „Originalrezept“ – zur Not bis
aufs Blut – verteidigt werden.
Der Unterschied besteht insbesondere
darin, wie das Verhältnis zwischen ro-
hen und gekochten Kartoffeln ist, ob
und welche Semmelbrösel (auch Bröck-
chen oder Weckbröckla genannt) ver-
wendet werden, ob die Kartoffelstärke,
die sich im Reibewasser der rohen Kar-
toffel absetzt, beigemischt wird und ob
geschwefelt wird. Auch über die „richti-
ge“ Konsistenz der verzehrfertigen Klö-
ße gibt es unterschiedliche Ansichten,
wobei sehr weiche, auf dem Teller zer-
fließende oder festere, bis hin zu kugel-
stabilen Zubereitungen bevorzugt wer-
den können.
.
Der Thüringer Kloß
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Text: Torsten Laudien, Fotos: Torsten Laudien, Gebhardt
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